Valentina Ryser

Der lange Atem zahlt sich aus

Sie hat schon gegen Belinda Bencic und in Wimbledon gespielt. Nun will die 19-jährige Thunerin Valentina Ryser auf der Profitour für Aufsehen sorgen. Helfen soll ihr dabei ein prominenter Trainer aus Ungarn.

Kürzlich tauchte ein altes, etwas verwackeltes Video auf. Valentina Ryser war darin zu sehen, fünf, vielleicht sechs Jahre alt, wie sie in Heimberg Tennis spielte. Das Mädchen war talentiert, sicher, aber keine Überfliegerin. «Von alleine ging bei mir selten etwas, mir fiel nichts in den Schoss», sagt die Thunerin. Sie schlug viele Bälle, Hunderte, Tausende, Zehntausende. Sie trainierte beharrlich und konsequent, steckte den Kopf nie in den Sand. Auch nicht, nachdem sie zum wiederholten Mal unterschätzt und bei überregionalen Kaderselektionen übergangen worden war.

Im März wird Ryser 20. Ihr langer Atem hat sich gelohnt, und wie! Dreimal Gold holte sie bei Schweizer Nachwuchs-Meisterschaften, sie spielte an den Grand-Slam-Turnieren der Juniorinnen, ist Stammspielerin im NLA-Interclub. Und vor allem: bereits die Nummer 696 der WTA-Weltrangliste. Einen solchen Aufstieg hätten der Oberländerin nur wenige zugetraut.

Der Aufstieg in Biel
Eben erst ist Valentina Ryser aus Ägypten zurückgekehrt. Im Norden Afrikas bestritt sie drei kleine WTA-Turniere; in der ersten Woche scheiterte sie nach überstandener Qualifikation in der Startrunde nach vergebenen Matchbällen, danach je einmal im Achtel- und Viertelfinal. Zudem erreichte sie zweimal das Endspiel im Doppel. Solide, aber nicht herausragend seien die Leistungen gewesen, sagt die Teenagerin selbstkritisch.

Die mit 15’000 Dollar dotierten Events sind kein Zuckerschlecken. Preisgeld gibt es kaum zu gewinnen, «um die Fixkosten zu decken, muss man das Turnier fast gewinnen», hält Ryser fest. Für Profispielerinnen in den Niederungen der Weltrangliste ist der Kampf ums Geld ein Dauerthema, die Sponsorensuche ist aufwändig und zermürbend, in Zeiten von Corona ist alles nochmals schwieriger geworden. Umso bedeutender war für Ryser, dass sie als langjährige Kaderspielerin und Aushängeschild von BO-Tennis vom Regionalverband bis zuletzt finanziell unterstützt wurde.

Die ersten Schritte auf ihrem Karriereweg tätigte Valentina Ryser in Heimberg. Zunächst unterrichtete sie Nadja Rindlisbacher, mittlerweile Leiterin des U-10-Förderkaders von BO-Tennis. Später wurde sie von Adrian Braun und Janusch Graf betreut. Längst jedoch wird sie im nationalen Leistungszentrum von Swiss Tennis in Biel geschult. Tat sie dies lange in der sogenannten Academy, darf sie seit einigen Wochen mit dem Verbandskader trainieren. Der «Aufstieg» bringt den Vorteil der individuelleren Betreuung mit sich, mit Alina Granwehr, Simona Waltert und zuweilen auch Viktorija Golubic verfügt sie über starke Trainingspartnerinnen.

Einen fixen Trainer hat Ryser in Biel nicht, dafür hat sie auf privater Basis einen Coach gefunden – einen mit beeindruckender Vita. Zoltan Kuharsky, gebürtiger Ungar mit Schweizer Pass, kümmert sich nun um Ryser. Der 61-Jährige war einst Profi, Erfolge hat er jedoch vorab als Trainer gefeiert. Kuharsky betreute unter anderen Anke Huber, Jennifer Capriati und Ana Schweinsteiger (geborene Ivanovic). Drei Wochen verbrachte Ryser in Ungarn, um den Fachmann kennen zu lernen, zuletzt wurde sie von ihm nach Ägypten begleitet. Kuharsky wird hin und wieder auch nach Biel kommen. Ryser ist überzeugt: «Es braucht eine optimale Betreuung, um auf der Tour bestehen zu können.»

2021 muss es vorwärts gehen
Der Unterschied ist gewaltig zwischen Junioren-Turnieren und jenen bei den Erwachsenen, der Verdrängungswettkampf ist weitaus grösser. Auf der ITF-Tour (U-18) schaffte es Ryser bis auf Rang 44 der Welt, sie spielte in Paris und Wimbledon, stiess am Australian Open in Melbourne in den Achtelfinal vor. Von den tollen Erlebnissen an den Grand-Slams zehrt Ryser noch heute. Mittlerweile aber sind die Bühnen wieder kleiner, Ryser spielt zumeist mit 15’000 Dollar dotierte Turniere, an denen es lediglich ein paar wenige WTA-Punkte zu gewinnen gibt. Sie sagt: «Ich will sicher nicht bis 25 auf dieser Stufe verweilen. Im Jahr 2021 muss es vorwärts gehen.»

Weitere Fortschritte sind der Offensivspielerin durchaus zuzutrauen. Sie ist motivierter denn je, sagt aber auch: «Ich bin realistisch. Stagniere ich, muss ich es einsehen und das ganze Projekt hinterfragen.» Das Coronavirus verhinderte in diesem Jahr einen grossen Vormarsch im Ranking, von Februar bis Oktober konnte sie keine internationalen Turniere spielen. Hinzu kam das missglückte Intermezzo mit Michaella Krajicek: Die Halbschwester des einstigen Wimbledon-Champions Richard Krajicek sollte Rysers Betreuerin werden, die Zusammenarbeit lief gut an, die Frauen verstanden sich prächtig. Bis zur unerwarteten Kehrtwende der extrovertierten Holländerin, die auf einmal andere Pläne verfolgte. Die ehemalige Nummer 30 der Welt wagt einen Comeback-Versuch.

Der Aufsteller gegen Bencic
Die Corona-Zwangspause nutzte Ryser, um technische Details an den Schlägen umzustellen, zudem investierte sie viel ins physische Training. Im Interclub war sie Stammspielerin bei Zofingen, im Duell mit Chiasso traf sie auf niemand geringeres als Belinda Bencic. Beim 4:6 und 4:6 machte sie eine mehr als ordentliche Falle. «Für Belinda war es kein lockerer Match, sie regte sich mehrmals auf, was ich als Kompliment für meine Leistung interpretierte, erzählt Ryser. Von Bencics Vater Ivan kriegte sie ein tolles Feedback, «das war ein echter Aufsteller». Vor allem aber realisierte Ryser, dass selbst die Weltbesten nur mit Wasser kochen.

Top-300-Spielerinnen hat sie bereits bezwungen, und im nationalen Ranking fehlten im Herbst läppische zwei Pünktchen für den Aufstieg in die N1-Klasse. Falls das Turnier trotz der Pandemie stattfindet, wird Valentina Ryser Mitte Dezember an den Schweizer Meisterschaften in Biel aufschlagen. Träumen ist erlaubt. Von einer Medaille, je nach Teilnehmerfeld vielleicht gar vom Titel.

Philipp Rindlisbacher, November 2020